Glaubensthemen

 

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Kommentar zu Dr. Roger Liebi: Sprachenreden oder Zungenreden?

In diesem Büchlein stellt Dr. Liebi 30 Thesen zum Phänomen des Sprachenredens auf, von denen über zwei Drittel voll mit meiner Meinung und Erfahrung übereinstimmen. Ich kommentiere daher nur die Thesen, die meinem Verständnis ganz oder teilweise widersprechen oder direkt mit solchen verbunden sind.

These 11: Die biblischen Sprachenredner wirkten nicht als Medien. Ihr Bewusstsein beziehungsweise ihr Verstand/Intellekt war nicht passiv, eingeschränkt oder gar ausgeschaltet.

Dieser These stimme ich voll und ganz zu. Daraus folgt aber nicht

These 12: Die biblischen Sprachenredner waren sich daher auch immer dessen, was sie sagten, voll und ganz bewusst. Sie waren ja die Redenden, mit Hilfe des Heiligen Geistes.

Paulus selbst setzt voraus, dass sie nicht verstanden, was sie sagten. Dabei waren ihre geistigen Fähigkeiten nicht eingeschränkt, die Sprache war ihnen nur fremd. Wer glaubt, das Unverständnis der jeweiligen Sprache sei ein Zeichen von passivem oder ausgeschaltetem Verstand, versuche einmal, eine ihm unbekannte und unverständliche Lautfolge korrekt wiederzugeben. Das erfordert stark erhöhte Aufmerksamkeit, blitzschnelles Durchschauen der Wort- und Silbenstruktur und bei ganzen Texten auch zum Teil der Satzstruktur. Das alles gibt der Heilige Geist, und der menschliche Geist mitsamt Verstand ist voll damit beschäftigt es zu erkennen und richtig wiederzugeben. Er ist aber insofern “unfruchtbar”, als er nichts für andere Verständliches produziert. Es stimmt also, was in 1 Kor 14 steht (V. 2, 13, 14 und durchgehend). Im anderen Fall würde jede Auslegung durch andere unnötig.

These 16 und 17: Die Aussage der Sprachenrede bewirkte Auferbauung, nicht das übernatürliche Phänomen an sich.
Die Sprachenrede hatte nur einen Sinn, wenn die anwesenden Zuhörer den Inhalt verstehen konnten. Falls die Anwesenden die jeweilige Fremdsprache nicht verstanden, musste für Übersetzung gesorgt werden.

Für die Gemeinschaft stimmt das: Eine Sprachenrede ohne Übersetzung ist nutzlos. Es ist aber für die Gemeinde unmöglich “für Übersetzung zu sorgen”, weil gewöhnlich kein Zuhörer weiß, welche Sprache jeweils gesprochen wird – schon gar nicht im Voraus. Daher tut es der Heilige Geist, indem Er einem Beteiligten den Inhalt des Gesagten eingibt.

These 18: Der Sprachenredner wurde immer geistlich erbaut (…), weil er stets wusste, was er sagte.

Der Sprachenredner weiß nicht, was er sagt. Er wird durch etwas anderes “erbaut”, s. u..

These 20: Es gab nur einen Typ von Sprachenrede im NT. Bei der Sprachenrede von Apg 2 handelte es sich um dasselbe Phänomen wie in 1 Kor 12-14.

Ob es im NT nur einen Typ des Sprachenredens gab, wissen wir nicht und können es auch nicht nachprüfen. Es kann durchaus sein, dass die Jünger in Apg 2 auch nicht verstanden, was sie predigten, s. V. 4.

These 26: Das biblische Sprachenreden sollte allmählich verklingen und – im Gegensatz zu verschiedenen anderen Gaben – nicht bis zur Wiederkunft Christi bestehen bleiben.

Der Autor schließt das aus dem Gebrauch des Wortes “pauo” statt “katargeo” im Zusammenhang mit dem Sprachenreden und argumentiert, “katargeo” bezeichne ein plötzliches Abbrechen, “pauo” dagegen ein allmähliches Abklingen eines Vorgangs. Das ist mit Sicherheit falsch. Der Unterschied in den Bedeutungsfeldern der beiden Wörter war in der damaligen Umgangssprache – zumindest für Paulus – offenbar bedeutungslos. Sonst müsste man annehmen, Paulus sei plötzlich – von einem Tag zum anderen und ohne Pubertätszeit – vom Kind zum Mann geworden (1 Kor 13, 11). Ich kann mir nicht denken, dass irgendjemand das glaubt.

Thesen 29 und 30: Diejenigen, welche die Gabe der Auslegung/Übersetzung erhalten hatten, waren von Gott befähigt worden, die fremde Sprache des Sprachenredners wirklich zu verstehen. Sie besaßen ein solches Sprachverständnis wie Adam, der nach seiner Erschaffung Gottes Sprache sogleich verstehen konnte (1 Mo 2), und wie die Menschen nach der Sprachverwirrung, die jeweils ihre neue Sprache verstehen konnten, ohne sie gelernt zu haben (1 Mo 11).
Die Ausleger der Sprachenreden übersetzten das Gesprochene. Sie brauchten keine spezielle Offenbarung darüber, was die Sprachenrede bedeutet haben soll, da sie die zu übersetzenden Fremdsprachen real verstanden.

Diese Aussage widerspricht 1 Kor 14, 13 und 14: Die Stelle besagt eindeutig, dass sowohl Sprachenrede als auch Auslegung unabhängig von unserem Verstand vom Heiligen Geist kommt.

 

Eigene Stellungnahme zum Sprachenreden:

Ich erlebe Sprachenrede und Auslegung genau so, wie Paulus sie beschreibt: bei vollem Bewusstsein und klarem Verstand, ohne Ekstase oder Gefühlsausbrüche und ohne direkte spektakuläre Folgen. Wenn das Sprachenreden in Gemeinschaft praktiziert wird, was eher die Ausnahme ist, dann einzeln mit klarer und deutlicher Aussprache und mit Auslegung meist durch eine andere Person. So kann Gott der Gemeinschaft etwas mitteilen, was man manchmal nicht wagen würde zu sagen, wenn man es verstünde, oder was man in der Muttersprache nicht adäquat ausdrücken kann. Dem Ausleger werden die richtigen Worte gegeben.

Was für einen Sinn hat es eine Sprache zu sprechen, die man nicht versteht?

1. Die Hemmschwelle zum Sprachenreden ist am Anfang oft recht hoch; man ist nicht sicher, ob das Gehörte wirklich von Gott kommt. Man ist aber gefordert, unter entsprechendem Gebet den Mut und das Vertrauen zum Sprechen aufzubringen, das eigene selbstbestimmte Urteil dem Heiligen Geist unterzuordnen, und kann so durch Übung und positive Erfahrung Vertrauen und Gehorsam lernen.

2. Eine Sprache, die man ohne Lernvorgang beherrschte und verstünde, sähe einer intellektuellen Glanzleistung zum Verwechseln ähnlich. Überheblichkeit wäre vorprogrammiert.

3. Wer eine Sprache perfekt beherrscht, gebraucht für eine bestimmte Aussage nicht nur die Worte, die der Heilige Geist ihm vorgibt. Es mischen sich immer eigene Ausdrucksweisen darunter. Die Aussage würde dadurch verkürzt oder sogar verfälscht.

4. Ohne Kenntnis der jeweiligen Sprache kann man nur aussprechen, was der Heilige Geist vorgibt, das heißt man muss genau auf Seine Impulse achten und ihnen folgen. Das übt das “Hören” im weitesten Sinne und dazu gehört es zum Beispiel auch, Gottes Impulse von anderen zu unterscheiden.

5. Das Hören auf Gottes Impulse stärkt das Bewusstsein, dass Gott unmittelbar da ist. Wie ein kleines Kind, das mit Vater oder Mutter sprechen übt, fühlt man sich geliebt und behütet, auch wenn man die Worte nicht versteht, und gewinnt mit der Zeit ein Gespür nicht nur für Lautung und Prosodie der Sprache, sondern auch für die richtigen Größenverhältnisse zwischen Gott und dem Sprecher: Ängste werden kleiner, die Bewunderung für Gott und das Vertrauen zu Ihm größer. Nicht umsonst sind es oft sehr junge und unsichere Menschen, die das Sprachengebet bekommen.

6. Das Hören auf den Heiligen Geist vermittelt Botschaften, die nicht nur vom Verstand, sondern vom gesamten menschlichen Geist – also zunächst eher intuitiv – aufgenommen werden (Röm 8, 16). Das hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Hören guter Musik oder dem Betrachten eines Kunstwerkes oder auch dem bewussten Wahrnehmen der Schöpfung selbst: Diese Dinge können einen tiefen Eindruck hinterlassen, der sich aber erst allmählich zu Gedanken und zu einer klaren Haltung formt.

Alles, was das Sprachenreden an Wachstum, Aufbau und Stärkung bewirken kann, kann Gott auch auf andere Weise geben. Weil Er aber jeden Menschen genau kennt und weiß, wie der Einzelne Seine Impulse am besten aufnehmen und umsetzen kann, meine ich, man sollte Seine Gaben ruhig annehmen und nutzen. Wenn man unsicher ist, woher die Gabe kommt, kann man um Weisheit zur Unterscheidung bitten; diese Bitte wird Gott sicher und gern erfüllen (Jak 1, 5). Gut ist es auch, wenn ein Sprachenredner sein Reden einmal von erfahrenen Gemeindegliedern prüfen lassen kann, wie man es manchmal auch mit anderen Gaben tut. Wenn die Gabe sich als echt erweist, kann man sicher sein, dass sie aufbaut und nicht schadet (Mt 7, 11).

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Taufe

“Wer glaubt und getauft wird, wird gerettet werden” (Mk 16, 16).

Kinder- oder Erwachsenentaufe? Bei Vertretern beider Seiten besteht der Anspruch das einzig Richtige zu tun und beide Seiten können ihre Position begründen. Die Frage ist also, ob man aus der Bibel erkennen kann, welcher Weg vorzuziehen ist.

Wie war das am Anfang? Jesus, der Auferstandene, hat seine Nachfolger beauftragt das Evangelium bei allen Völkern bekannt zu machen, Menschen zu taufen und ins Christsein einzuführen. Die ersten Christen waren natürlich mehrheitlich Juden gewesen, alle (auch die Griechen und Römer) lebten in patriarchalischen Gesellschaften. Daher konnten manche sich taufen lassen “mit ihrem ganzen Hause”, d. h. mit allen Menschen, für die sie als Familienvorstand verantwortlich waren. Der Vorstand eines Hauses war auch für den Glauben seiner Kinder verantwortlich – jüdische Hausväter werden in 5. Mose 4, 9 und noch mehrfach ausdrücklich auf diese Verantwortung hingewiesen. Daher liegt es nahe anzunehmen, dass auch Kinder jeden Alters getauft wurden; es ist aber auch denkbar, dass kleine Kinder in einer solchen Gesellschaft noch gar nicht als eigenständige Person wahrgenommen und daher auch nicht persönlich getauft wurden. Biblische Belege dafür oder dagegen habe ich nicht gefunden.

Aber natürlich ließen die Hausväter auch sich selbst, ihre erwachsenen Angehörigen und eventuelle Sklaven taufen. Es gab also wahrscheinlich beides und beides hatte seine Berechtigung: Die Taufe des Erwachsenen bestätigte seine Entscheidung für ein Leben mit Jesus Christus (auch wenn sie nicht immer so frei war, wie wir das heute selbstverständlich finden); die eines kleinen Kindes bestätigte zunächst die Entscheidung der Eltern, ihm ein solches Leben vorzuleben und zu erklären, zugleich aber auch ihre Bitte an Gott, das Kind als sein eigenes anzunehmen und entsprechend zu leiten.

Wenn also ein Mensch, der sehr früh getauft wurde, sich später entscheidet mit Jesus Christus zu leben, kann er auf zweierlei Weise reagieren. Er kann sagen: Meine Eltern haben Gott gebeten mich anzunehmen, Er hat ihre Bitte erfüllt und ich bestätige das dankbar, indem ich mich nun selbst noch einmal taufen lasse. Er kann aber auch sagen: Meine Taufe ist das Zeichen, dass Gott mich angenommen und meine Sünden vergeben hat, auch wenn das damals noch niemand wusste. Gott ist nicht zeitgebunden, Er hat meine Bitte schon vorausschauend erfüllt und mir Seine Liebe und Vergebung auch jetzt wieder gezeigt. Meine Antwort soll Dankbarkeit und Treue sein. Beides wird Gott akzeptieren, denn beides geschieht aus dem Wunsch heraus, das zu tun, was Gott am meisten Freude macht.

Noch eines möchte ich zu bedenken geben: Die Taufe ist eine Symbolhandlung, mit der dem Täufling sichtbar und fühlbar bestätigt wird, was Gott bereits getan hat. Das Untertauchen ist wohl das älteste und für mich auch das schönste und eindrücklichste Symbol dafür. Wir wissen aber nicht, ob zum Beispiel der Gefängniswärter in Apg 16, 27ff mitten in der Nacht “mit seinem ganzen Hause” in einem Gewässer oder einer Badevorrichtung untergetaucht wurde, ob Alte, Gebrechliche und ggf. kleine Kinder untergetaucht wurden oder ob man die rituelle Handlung auch damals schon in Sonderfällen vereinfacht hat. Es geht ja eigentlich nicht um die Form der Taufe als solche, sondern um Vergebung und Neuausrichtung auf Jesus Christus. Darum plädiere ich dafür, dass jeder, der diese Vergebung und Neuausrichtung erlebt, ihr nach dem eigenen Bibelverständnis und nach den jeweils gegebenen Möglichkeiten Ausdruck verleiht (z. B. durch Taufe mit Untertauchen oder mit symbolischer Befeuchtung oder durch Anerkennung einer früheren Taufe) und dass wir, die das schon auf die eine oder andere Weise getan haben, seine Entscheidung gelten lassen und ernst nehmen.

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Predigen und Reden von Frauen in der Gemeinde

Immer wieder führt es zu Streit und Spaltungen in christlichen Gemeinden, dass einige Gemeindeglieder Frauen das Predigen erlauben wollen und andere der Meinung sind, dass Frauen in der Gemeinde schweigen sollen. Vor allem für die zweite Auffassung gibt es anscheinend eindeutige Texte in den Briefen von Paulus, die dann dazu führen können, Paulus als frauenfeindlich einzustufen.

Dieser Beitrag soll jetzt nicht eine Verurteilung der einen oder anderen Anschauung sein, sondern weil ich davon ausgehe, dass beide Gruppen Gott gehorsam sein wollen, will ich versuchen die Texte der Bibel zusammenzustellen, die zu diesem Thema etwas aussagen, und begründen, weshalb ich davon ausgehe, dass Paulus Frauen das Reden in der Gemeinde gerade nicht verbietet. Trotzdem will ich die Meinung derer, die das anders sehen, achten, denn sie versuchen genau wie ich, das zu tun, was Gott will. Nur kommen sie zu einem anderen Schluss.

Ein Text, auf den sich diejenigen berufen, die Frauen das Predigen verbieten, steht im 1. Korintherbrief von Paulus:

“Denn Gott ist nicht (ein Gott) der Unordnung, sondern des Friedens. Wie (es) in allen Gemeinden der Heiligen (ist), sollen eure Frauen in den Gemeinden schweigen, denn es wird ihnen nicht erlaubt, zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt. Wenn sie aber etwas lernen wollen, so sollen sie daheim ihre eigenen Männer fragen; denn es ist schändlich für eine Frau, in der Gemeinde zu reden. Oder ist das Wort Gottes von euch ausgegangen? Oder ist es zu euch allein gelangt? Wenn jemand meint, ein Prophet oder (sonst) ein Geistbegabter zu sein, so erkenne er, dass das, was ich euch schreibe, ein Gebot des Herrn ist. Wenn aber jemand das nicht erkennt, so wird er auch (von Gott) nicht erkannt.” 1. Korinther 14. 33 bis 38

Diese Gruppe betrachtet diese Anweisungen als eindeutig und sieht es als einen Verstoß gegen die Aussagen des Neuen Testamentes an, wenn Frauen in der Gemeinde öffentlich reden oder sogar predigen. Gegen diese für sie eindeutige Anweisung Gottes zu handeln sehen sie als Sünde und eine Gemeinde, die Sünde sogar offiziell duldet oder gar fördert, darf nach ihrer Meinung nicht mit Gottes Segen rechnen. Deshalb stellen sie sich entschieden gegen alle Versuche, diesen aus ihrer Sicht eindeutigen Text zu verdrehen. Gottes Wort gilt und wer es verdreht, fällt aus der Gnade.

Andere sind liberaler und finden solche Texte nicht mehr zeitgemäß. So dürfen wir aber mit der Bibel auch nicht umgehen. Ich denke, dass das, was Gott sagt, immer und für jeden gilt. Aber wir dürfen auch nicht einzelne Texte aus dem Gesamtzusammenhang reißen. In der Bibel steht auch: “Es ist kein Gott!” im Zusammenhang lautet der Text: “Der Tor spricht in seinem Herzen: ‘Es ist kein Gott!’ ” (Psalm 14,1).

Im Galaterbrief schreibt Paulus:“Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr seid alle einer in Christus Jesus.” (Gal 3, 28). Das passt nicht zu dem Korinthertext.

Wenn wir Texte in unseren Bibeln lesen, dann müssen wir uns immer bewusst machen, dass es in den griechischen Urtexten keine Satzzeichen gab. Die Aufteilung in Sätze und Nebensätze stammt von den Übersetzern. Sie bringen damit ihr eigenes Textvertändnis ein. Das geht gar nicht anders.

Zum Verständnis des Textes aus 1. Kor. 14 ist es gut, wenn wir den ganzen Brief und auch die anderen Briefe von Paulus lesen. Unser erster Korintherbrief ist mindestens schon der zweite Brief von Paulus an diese Gemeinde (1. Korinther 5.9 und 7.1) und Paulus antwortet mit diesem Brief auf ein Antwortschreiben der Korinther, das ihm anscheinend “die Leute der Chloe” überbracht haben (1. Korinther 1.11). Auf dieses Schreiben bezieht er sich in dem Brief. Kapitel 7, Vers 1 schreibt er: "Was aber das betrifft, wovon ihr mir geschrieben habt, so ist es ..." Aus diesem Brief der Korinther hat Paulus auch an anderen Stellen zitiert und das dann anschließend in Frage gestellt (1. Korinther 6.12 und 10,23). Wenn man nun davon ausgeht, dass Paulus auch in der oben zitierten Textstelle aus einem Brief der Korinther zitiert hat, würde der Text z.B. so lauten (die kursiv geschriebenen Teile sind von mir ergänzt, für die Korinther war das nicht erforderlich, denn sie wussten ja, was sie in ihrem Brief geschrieben hatten):

Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens, wie es in allen Gemeinden der Heiligen üblich ist.

“(Ihr schreibt in eurem Brief:) ‘Frauen sollen in der Versammlung schweigen; denn es wird ihnen nicht erlaubt, zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt. Wenn sie aber etwas lernen wollen, so sollen sie daheim ihre eigenen Männer fragen; denn es ist schändlich für eine Frau, in der Gemeinde zu reden.’ (Ich sage dazu:) Ist etwa das Wort Gottes von euch ausgegangen? Oder ist es zu euch allein gelangt? Wenn jemand meint, ein Prophet oder (sonst) ein Geistbegabter zu sein, so erkenne er, dass das, was ich euch schreibe, ein Gebot des Herrn ist. Wenn aber jemand das nicht erkennt, so wird er auch (von Gott) nicht erkannt.” (“Was ich euch schreibe” bezieht sich vielleicht auf seinen Brief, auf den ihm die Korinther geantwortet haben.).

Bei dieser Auslegung wäre es gegen Gottes Willen, wenn Frauen in der Gemeinde das Reden verboten würde.

Für diese Auslegung spricht, dass nirgends im Gesetz (= in den fünf Büchern Mose) steht, dass Frauen in der Gemeinde schweigen sollten.

In unseren Bibeln wird oft 1. Mose 3, 16 –20 als Bezugsstelle angegeben:

“Zu der Frau sprach er: Ich werde sehr vermehren die Mühsal deiner Schwangerschaft, mit Schmerzen sollst du Kinder gebären! Nach deinem Mann wird dein Verlangen sein, er aber wird über dich herrschen! Und zu Adam sprach er: Weil du auf die Stimme deiner Frau gehört und gegessen hast von dem Baum, von dem ich dir geboten habe: Du sollst davon nicht essen! – so sei der Erdboden verflucht um deinetwillen: mit Mühsal sollst du davon essen alle Tage deines Lebens; und Dornen und Disteln wird er dir sprossen lassen, und du wirst das Kraut des Feldes essen! Im Schweiße deines Angesichts wirst du (dein) Brot essen, bis du zurückkehrst zum Erdboden, denn von ihm bist du genommen. Denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren!”
Im Zusammenhang gelesen erkennt man, dass es sich um eine Strafe Gottes handelt und nicht um eine Anweisung für unser Verhalten. Ein Mann, der das Gesetz so gut kennt wie Paulus, wird sich nicht auf das Gesetz berufen, wenn es da keine solche Anweisung gibt. Außerdem predigt er ja gerade, dass die Erfüllung des Gesetzes keine Gerechtigkeit vor Gott bewirken kann:
“O unverständige Galater! Wer hat euch bezaubert, denen Jesus Christus als gekreuzigt vor Augen gemalt wurde? Nur dies will ich von euch wissen: Habt ihr den Geist aus Gesetzeswerken empfangen oder aus der Kunde des Glaubens? Seid ihr so unverständig? Nachdem ihr im Geist angefangen habt, wollt ihr jetzt im Fleisch vollenden? Der euch nun den Geist darreicht und Wunderwerke unter euch wirkt, [tut er es] aus Gesetzeswerken oder aus der Kunde des Glaubens? .... Denn alle, die aus Gesetzeswerken sind, die sind unter dem Fluch ... Dass aber durch Gesetz niemand vor Gott gerechtfertigt wird, ist offenbar, denn ‘der Gerechte wird aus Glauben leben.’ Das Gesetz aber ist nicht aus Glauben, sondern: ‘Wer diese Dinge getan hat, wird durch sie leben.’ Christus hat uns losgekauft von dem Fluch des Gesetzes, ...” (Galater 3, 1 bis 13)
“Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, ihr seid aus der Gnade gefallen.”(Galater 5. 4)

Der Zusammenhang: Die Galater waren durch Judenchristen überredet worden, sich beschneiden zu lassen und das mosaische Gesetz einzuhalten, um sich dadurch die Rettung zu verdienen.

Es ist doch auch geradezu widersinnig, wenn Paulus im 1. Korintherbrief im Kapitel 7, Vers 7 und 8 zum Verheiraten schreibt:
“Ich wünschte freilich, dass alle Menschen wären wie ich (= ledig); doch jeder hat seine eigene Gabe von Gott, der eine so, der andere so. Ich sage aber den Unverheirateten und den Witwen: ‘Es ist gut für sie, wenn sie bleiben wie ich.’” Wenn er dann sieben Kapitel später vorschlägt, die Frauen sollten zu Hause ihre Männer fragen, dann frage ich mich: Kann jemand Paulus denn für so dumm halten, dass er nicht weiß, dass er gerade empfohlen hat ledig zu bleiben?

Außerdem hat Paulus im Kapitel 11 in Vers 5 geschrieben: “Eine Frau aber, die da betet oder weissagt mit unbedecktem Haupt, die schändet ihr Haupt; denn es ist soviel als wäre sie geschoren.”

Dass es sich bei dem, was im Kapitel 11 steht, um Anweisungen für den Gottesdienst handelt, ist nach meiner Information weitgehend unumstritten, obwohl ich gehört habe, dass es Frauen geben solle, die nie beten, wenn sie sich nicht vorher etwas auf den Kopf gesetzt haben, und deshalb sogar mit einer Kopfbedeckung schlafen.

Wenn das, was Paulus schreibt, aber für den Gottesdienst gilt, dann setzt Paulus als selbstverständlich voraus, dass Frauen auch im Gottesdienst öffentlich beten und weissagen.
Für uns heute ist für dieses Gebot die Begründung wichtig (Vers 13): "Urteilt bei euch selbst, ob es sich ziemt, dass eine Frau unbedeckt vor Gott betet." Die Schlussfolgerung für mich heißt, dass es unabhängig von Gottes Geboten auch Verhaltensregeln gibt, die einzuhalten wichtig ist, um bei anderen keinen Anstoß zu erregen. Das gilt natürlich nur dann, wenn diese Regeln nicht im Widerspruch zu Gottes Geboten stehen.

Es gibt aber noch einen weiteren Text von Paulus zu diesem Thema (1. Timotheus 2. 8 bis 15): “Ich will nun, dass die Männer an jedem Ort beten, indem sie heilige Hände aufheben, ohne Zorn und zweifelnde Überlegung, ebenso, dass [die] Frauen sich in würdiger Haltung mit Schamhaftigkeit und Sittsamkeit schmücken, nicht mit Haarflechten und Gold oder Perlen oder kostbarer Kleidung, sondern [mit dem], was Frauen geziemt, die sich zur Gottesfurcht bekennen, durch gute Werke. Eine Frau lerne in der Stille in aller Unterordnung. Ich erlaube aber einer Frau nicht, zu lehren, noch über den Mann zu herrschen, sondern [ich will], dass sie sich in der Stille halte, denn Adam wurde zuerst gebildet, danach Eva; und Adam wurde nicht betrogen, die Frau aber wurde betrogen und fiel in Übertretung. Sie wird aber durch das Kindergebären gerettet werden, wenn sie bleiben in Glauben und Liebe und Heiligkeit mit Sittsamkeit."
Viele sagen nun, dass Gott hier doch eindeutig verbietet, dass Frauen lehren und leitende Funktionen ausüben. Das sehen sie als grundsätzliches Verbot ohne Wenn und Aber. Wer etwas anderes lehrt, ist danach ein Irrlehrer, den Gott strafen wird.
Ich sehe das etwas anders: Paulus schreibt dieses Verbot als sein Verbot ("Ich will ...) und sicher bewusst nicht als Gottes Verbot. An anderen Stellen hat Paulus gezeigt, dass er gut zwischen dem, was er von Gott als Gebot kennt, und seinem eigenen Denken zu unterscheiden weiß (z.B. 1. Korinther 7. 10 – 12). Paulus kannte die Situation in Ephesus sehr gut, er war mindestens zweimal dort (Apg. 18, 20 und Apg. 19). Dort hat er sogar mit wilden Tieren kämpfen müssen (1. Kor. 15, 32). Nach 1. Kor. 16, 8 kann man vermuten, dass Paulus unseren 1. Korintherbrief auch in Ephesus geschrieben hat und dass die Arbeit dort auch sonst nicht einfach, aber doch insgesamt fruchtbar war.
Könnte es nun sein, dass sich die Anweisung, dass Frauen nicht lehren sollen, nur auf bestimmte Frauen in Ephesus bezieht?
Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass Paulus das, was er hier schreibt, als allgemeingültige Anweisung gedacht haben kann. Das zeigt der Vers 15, denn an anderen Stellen rät er jungen Frauen dazu ledig zu bleiben:
“Über die Jungfrauen aber habe ich kein Gebot des Herrn; ich gebe aber eine Meinung als einer, der vom Herrn die Barmherzigkeit empfangen hat, vertrauenswürdig zu sein. Ich meine nun, dass dies um der gegenwärtigen Not willen gut ist, dass es für einen Menschen gut ist, so (unverheiratet) zu sein ...”(1. Korinther 7, 25 und 26)
“Wenn einer aber ... beschließt in seinem Herzen, seine Jungfrau ledig bleiben zu lassen, der tut wohl.”(1. Korinther 7, 37)
Dass die Seligkeit von Frauen davon abhängen soll, dass ihre Kinder gläubig sind, kann ja wohl auch nicht richtig sein!
Einige versuchen diesen Widerspruch dadurch zu lösen, dass sie die Rettung als Schutz der Frau bei der Geburt der Kinder verstehen, und übersetzen z.B. so: "Doch wird sie bei der Geburt ihrer Kinder bewahrt werden und wenn sie ihr Vertrauen auf Gott setzt, in seiner Liebe bleibt und bereit ist, seinen Willen zu tun, wird sie gerettet werden."
Ich denke, dass das viel wahrscheinlicher ist. Paulus kennt die Situation in Ephesus mit dem Artemis-Kult, denn er war mehrere Jahre dort (z.B. Apostelgeschichte 19). Tempelprostitution und die griechische Kultur mit den Hetären bestimmten damals das Leben dort. Ich denke, dass Paulus nicht wollte, dass Hetären oder Tempelprostituierte in der Gemeinde als Lehrerinnen auftraten. Das würde dazu passen, dass er vorher geschrieben hat, “dass Frauen sich in anständiger Haltung mit Schamhaftigkeit und Sittsamkeit schmücken” sollen, “nicht mit Haarflechten und Gold oder Perlen oder kostbarer Kleidung”. Andere griechische Frauen wären auch kaum in der Lage gewesen, öffentlich zu lehren.
Und ich denke, dass der Halbsatz über das Kindergebären vielleicht eine Stellungnahme gegen Abtreibung sein kann, die nach meinem Wissen bei den Tempelprostituierten weit verbreitet war, und dass er den Frauen in der Schwangerschaft Mut machen wollte, denn im Altertum war eine Geburt für eine Frau erheblich gefährlicher als heute.
Es könnte auch sein, dass die erste Satzhälfte ein Zitat war, denn der Artemis-Kult war ein Fruchtbarkeitskult. In diesem Fall kann dann die zweite Satzhälfte die Antwort von Paulus sein: Nicht das Gebären von Kindern rettet Frauen, sondern Vertrauen auf Gott, Bleiben in seiner Liebe und die Bereitschaft, nach seinem Willen zu handeln, gibt uns auch in schweren Stunden die Zuversicht, dass von Gott Rettung kommt.
Sicher ist das natürlich auch nicht, sondern nur eine Vermutung, die den Widerspruch zu seinen anderen Äußerungen auflösen kann.
Wenn sich dieser Text speziell auf die damalige Lage in Ephesus bezieht, ist er nur übertragbar auf heute, wenn sich Gemeinden in einer vergleichbaren Lage befinden. Dass Frauen lehren, ist also dann nicht generell verboten, sondern nur das Verbreiten von Irrlehren — und das ist Männern natürlich genau so verboten.
Für mich ist die Schlussfolgerung aus der Betrachtung, dass ich es durchaus als nach Gottes Plan richtig ansehe, wenn auch Frauen lehren. Das ist auch durch Apg. 21, 8 + 9 gestützt: ”... wir gingen in das Haus des Philippus ... und blieben bei ihm. Dieser aber hatte vier Töchter, Jungfrauen, die weissagten.“ Aber ich achte auch die hoch, die die Paulustexte anders verstehen, wenn sie ihr Handeln auch sonst konsequent nach dem richten, was sie als Gottes Willen sehen, und nicht an anderer Stelle die Bibel großzügig uminterpretieren. Richten ist nicht unsere Sache (Joh. 8, 7, Röm. 14, 4 und 10 und 1. Kor. 4, 5).
 
Göttingen, im Oktober 2011
Siegfried Stubenitzky

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